Der „Sleepy Girl Mocktail“ ist ein TikTok-Trend aus dem Januar 2024. Es ist ein alkoholfreier Cocktail, der beim Einschlafen wahre Wunder wirken soll. Was ist dran an diesem Wundercocktail?
Sehen wir uns dazu die einzelnen Zutaten etwas genauer an:
Sauerkirschsaft
Zunächst gibt man in ein Glas nicht definierter Größe etwas Sauerkirschsaft. Dieser Saft soll einer der Hauptgründe für den positiven Effekt auf den Schlaf sein. Sauerkirschen sollen das Schlafhormon Melatonin enthalten.
Melatoningehalt in Kirschen
Tatsächlich wurden in Sauerkirschen vergleichsweise hohe Mengen an Melatonin nachgewiesen. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die Sorte Montmorency erwähnt, mit einem besonders hohen Melatonin-Gehalt von 13,46 ng/g (Burkhardt et al., 2001).
Um die in handelsüblichen Melatoninpräparaten enthaltenen 0,5 mg bis 1 mg Melatonin zu erreichen, müsste man demnach etwa 37 kg bis 74 kg genau dieser Kirschsorte essen. Es gibt nämlich auch Sorten, in denen kein Melatonin nachgewiesen wurde. Bei der Verarbeitung von Lebensmitteln, z.B. bei der Verarbeitung der Kirschen zu Kirschsaft, geht zudem oft noch Melatonin verloren (Kirakosyan et al., 2009). Ein Glas Sauerkirschsaft würde also in keinem Fall ausreichen, wenn man sich auf den Melatoningehalt darin verlassen möchte.
Kirschen fördern die Bildung von Melatonin
Dennoch gibt es Studien, die einen positiven Effekt von Kirschen und auch Kirschsaft auf den Schlaf bestätigen. Sowohl der Verzehr von Süßkirschen (je 200 g als Dessert zum Mittag- und Abendessen, 3 Tage lang; Garrido et al., 2010) als auch von Sauerkirschsaft (30 ml Konzentrat aus 90-100 Kirschen, verdünnt in 200 ml Wasser, 7 Tage lang; Howatson et al., 2012) verlängerten die Schlafdauer und – erhöhten die Melatoninmenge im Körper!
Wie kann das sein, wo doch so gut wie kein Melatonin über die Kirschen aufgenommen wurde?
Hierzu muss man sich darauf zurückbesinnen, dass wir natürlich auch SELBST Melatonin bilden können. Es gibt jedoch Mechanismen im Körper, die die Melatoninproduktion herunterregulieren. Oxidative Vorgänge im Körper behindern etwa die Umwandlung des Melatonin-Vorläufers Tryptophan zu Melatonin. Und auch Entzündungen sind hierbei ganz entscheidend: Sie sorgen dafür, dass Tryptophan abgebaut wird. Es steht dem Körper damit nicht mehr für die Melatoninbildung zur Verfügung.
Entzündungen sind gar nicht so selten, wie wir vielleicht denken: schlechter Schlaf, chronischer Stress, Fettgewebe (v.a. Bauchfett), eine entzündliche Ernährung – all das erhöht die Entzündungswerte im Körper, und noch vieles mehr.
Dass eine antientzündliche Ernährung den Schlaf verbessert, ist nicht unbekannt: Eine Studie untersuchte das antientzündliche Potential der Ernährung auf die Schlafqualität. Die Schlafqualität war am schlechtesten in dem Viertel der Probanden, die die entzündlichste Ernährung aufnahmen (Godos et al., 2019). Antientzündliche und antioxidative Pflanzenstoffe, v.a. Antioxidantien wie Polyphenole und Vitamine, können dem entzündungsbedingten Abbau von Tryptophan entgegenwirken (Strasser et al., 2016).
Um wieder auf den Kirschsaft zurückzukommen: In einer kleinen Studie wurde festgestellt, dass sich durch Montmorency-Sauerkirschsaft (2x täglich 240 ml, 2 Wochen lang) ein Entzündungsmarker und die Verfügbarkeit von Tryptophan verbesserten. In der Folge schliefen die Teilnehmer, die allesamt an Schlafproblemen litten, ganze 84 Minuten länger (Losso et al., 2018).
Magnesium
Für den „Sleepy Girl Mocktail“ wird in den Sauerkirschsaft als nächstes ein Magnesiumpulver eingerührt. Auch hier gibt es keine Angaben über die Menge. Dabei sollte man hier aufpassen: Ein Zuviel an Magnesium kann zu Durchfall führen, was den Schlaf bestimmt nicht fördert.
Aber nun zur möglichen Wirkung: Magnesium wird auch „Entspannungsmineral“ oder „Anti-Stress-Mineral“ genannt. Ist da was dran?
Magnesium gegen Stress
Stress führt zu Magnesiumverlusten und kann damit zu einem Magnesiummangel führen. Ein solcher Mangel macht den Körper wiederum anfälliger für Stress (Pickering et al., 2020), denn Magnesium kann die Ausschüttung von Stresshormonen hemmen (Held et al., 2002). Für Gestresste mit Magnesiummangel kann ein Magnesium-Supplement also eine gute Idee sein.
Magnesium unterstützt die Melatonin-Bildung
Magnesium spielt aber auch eine Rolle bei der körpereigenen Bildung von Melatonin: Zum einen ist es ein wichtiger Cofaktor bei der Umwandlung von Tryptophan zu Melatonin. Zum anderen kann die Supplementierung von Magnesium eine chronische Entzündung reduzieren, sofern ein Magnesiummangel vorliegt (Nielsen et al., 2010). Wie Entzündungen die Melatonin-Bildung beeinflussen, hatte ich ja bereits beim Sauerkirschsaft erwähnt.
Sprudelwasser oder Limonade
Im Originalrezept wird zum Schluss eine Limonade mit präbiotischen Ballaststoffen („Olipop“) auf die Kirschsaft-Magnesium-Mischung gegeben.
Ballaststoffe wirken sich positiv auf den Schlaf aus. Zucker, der in Limonaden üblicherweise enthalten ist, hingegen nicht. Ich empfehle daher eher Wasser mit Kohlensäure als eine zuckerhaltige Limonade.
Fazit
Eine gewisse Wirkung auf den Schlaf könnte der „Sleepy Girl Mocktail“ durchaus haben, v.a. bei stress- und entzündungsbedingten Schlafproblemen.
Die Menge an Kirschsaft im Mocktail ist im Vergleich zu Studien wohl eher gering. Aber kombiniert mit Magnesium könnte ein Synergieeffekt entstehen, v.a. was die Bildung von Melatonin betrifft.
Wenn du den Mocktail selbst austesten möchtest, dann achte darauf, keinen Sauerkirschnektar zu verwenden, sondern einen richtigen Sauerkirschsaft (am besten Direktsaft oder Muttersaft). Ich habe diesen nur im Reformhaus gefunden. Der Saft enthält einen höheren Anteil an antientzündlichen Stoffen und weniger Zucker als der Nektar. Bei Magnesium kannst du mit 250-300 mg Magnesium starten und beobachten, ob du diese Menge gut verträgst. Ggf. kannst du die Menge dann nach unten oder auch nach oben anpassen, je nach Verträglichkeit. Statt Limonade empfehle ich normales Wasser mit Sprudel.
Statt jeden Abend einen Mocktail zu trinken, kannst du auch langfristig auf eine antientzündliche und antioxidative Ernährungsweise setzen und deinen Schlaf auf diese Weise verbessern. Denn es ist besser, eine gute Grundlage zu schaffen als jeden Tag aufs Neue handeln zu müssen.
Literatur
- Burkhardt S, Tan DX, Manchester LC, Hardeland R, Reiter RJ (2001): Detection and quantification of the antioxidant melatonin in Montmorency and Balaton tart cherries (Prunus cerasus). J Agric Food Chem; 49(10): 4898-4902.
- Garrido M, Paredes SD, Cubero J, Lozano M, Toribio-Delgado AF, Muñoz JL, Reiter RJ, Barriga C, Rodríguez AB (2010): Jerte Valley cherry-enriched diets improve nocturnal rest and increase 6-sulfatoxymelatonin and total antioxidant capacity in the urine of middle-aged and elderly humans. J Gerontol A Biol Sci Med Sci; 65(9): 909-914.
- Godos J, Ferri R, Caraci F, Cosentino FII, Castellano S, Shivappa N, Hebert JR, Galvano F, Grosso G (2019): Dietary Inflammatory Index and Sleep Quality in Southern Italian Adults. Nutrients; 11(6): 1324.
- Held K, Antonijevic IA, Künzel H, Uhr M, Wetter TC, Golly IC, Steiger A, Murck H (2002): Oral Mg(2+) supplementation reverses age-related neuroendocrine and sleep EEG changes in humans. Pharmacopsychiatry; 35(4): 135-143.
- Howatson G, Bell PG, Tallent J, Middleton B, McHugh MP, Ellis J (2012): Effect of tart cherry juice (Prunus cerasus) on melatonin levels and enhanced sleep quality. Eur J Nutr; 51(8): 909-916.
- Kirakosyan A, Seymour EM, Urcuyo Llanes DE, Kaufman PB, Bolling SF (2009): Chemical profile and antioxidant capacities of tart cherry products. Food Chem; 115(1): 20-25.
- Losso JN, Finley JW, Karki N, Liu AG, Prudente A, Tipton R, Yu Y, Greenway FL (2018): Pilot Study of the Tart Cherry Juice for the Treatment of Insomnia and Investigation of Mechanisms. Am J Ther; 25(2): e194-e201.
- Nielsen FH, Johnson LK, Zeng H (2010): Magnesium supplementation improves indicators of low magnesium status and inflammatory stress in adults older than 51 years with poor quality sleep. Magnes Res; 23(4): 158-168.
- Pickering G, Mazur A, Trousselard M, Bienkowski P, Yaltsewa N, Amessou M, Noah L, Pouteau E (2020): Magnesium Status and Stress: The Vicious Circle Concept Revisited. Nutrients; 12(12): 3672.
- Strasser B, Gostner JM, Fuchs D (2016): Mood, food, and cognition: role of tryptophan and serotonin. Curr Opin Clin Nutr Metab Care; 19(1): 55-61.